homeberichtePaesse


Mont-Blanc-Umrundung mit Colle del Nivolet vom 29.07.12 - 02.08.12

    Tag1 (Portes de Culet, Col du Corbier, Col de Joux Plane)

    Tag2 (Col des Saisies, Col du Pre, Cormet des Roselend)

    Tag3 (Col du Petit Saint Bernard, Colle San Carlo)

    Tag4 (Colle del Nivolet)

    Tag5 (Col du Grand Saint Bernard)


1. Tag (Portes de Culet, Col du Corbier, Col de Joux Plane)


Nachdem ich mir letztes Jahr mit einer Transalp von Genf nach Nizza bereits einen Traum erfüllt hatte, wollte ich mir dieses Jahr einen anderen Traum erfüllen. Der unvollendete Pass, der Colle del Nivolet wollte bezwungen werden. Und ganz nebenbei würde ich dabei den Mont Blanc umrunden. Am Sonntag um 4:30 Uhr klingelte mein Wecker. Da ich nur eine Woche Urlaub hatte, wollte ich bereits am Anreisetag die erste Etappe fahren. Um kurz nach 5 Uhr befand ich mich daher bereits auf der Autobahn und vier Stunden später erreichte ich mein Ziel Saint Maurice. Das Wetter war bewölkt, aber immerhin erstmal trocken. Das sollte sich entgegen der Vorhersagen auch den ganzen Tag nicht ändern. Der erste Pass des Tages war der Portes de Culet. Die Strasse ist in den meisten Karten gar nicht eingezeichnet. Dementsprechend ist natürlich auch der Pass nicht ausgeschildert. In Muraz biegt man in einer Rechtskurve nach links Richtung Restaurant La Treille ab, direkt danach nach rechts und dann nach links in die Rue du Vigneron. Dann befindet man sich bereits im Anstieg.

Da die Strasse zwischendrin für mehrere Kilometer aufgrund von Steinschlaggefahr gesperrt ist, war ich hier völlig alleine unterwegs. Außer ein paar Wanderern begegnete ich den kompletten Anstieg niemandem. Die ersten 3,5 Kilometer werden über zwei lange Serpentinen erklommen. Bereits hier kam ich mächtig ins Schwitzen. Zwar waren lediglich ca. 7% Steigung zu bewältigen, aber mit Gepäck fühlt sich so etwas eben anders an. Nach der zweiten Serpentine wurde es dann etwas flacher. Nach etwa 6 Kilometer durchfuhr ich einen kurzen Tunnel. Dann erreichte ich den gesperrten Teil.

Tunnel Culet.jpg
Der kurze Tunnel am Portes des Culet und der Beginn des gesperrten Abschnittes

In diesem Bereich, der sich über mehrere Kilometer erstreckt, ist die Strecke von Steinschlag gefährdet. Und dass es sich dabei um eine sehr reale Gefahr handelte, bezeugten Dutzende große und kleine Steine die auf der Straße lagen. Der Asphalt war teilweise aufgerissen und scheinbar wird die Strasse hier auch nicht mehr in Schuss gehalten. Zum Teil konnte man nur auf einem schmalen Band von weniger als einem Meter Breite fahren, manchmal fehlte der Asphalt für wenige Meter komplett. Die Steigung zog nun auch wieder deutlich an und in manchen Abschnitten mussten über mehrere hundert Meter zweistellige Prozentwerte bezwungen werden. Glücklicherweise verläuft fast der gesamte Anstieg im Wald und so von der Sonne geschützt. Kurz nachdem ein kleiner Fluss zweimal in Folge überquert wird, war das Schlimmste geschafft. Der Asphalt war inzwischen auch wieder in einem passablen Zustand. Einige Zeit später passierte ich zwei Chalets und durfte noch mal zwei Serpentinen überwinden. Jetzt wurde es endgültig flacher und bei Steigungen unter 5% passierte ich zunächst einen kleinen See und erreichte dann das Chalet Neuf.

See Portes des Culet.jpg
Der kleine malerische See gegen Ende des Anstieges am Portes des Culet kurz vor dem Chalet Neuf

Die Passhöhe war nun schon zu erahnen. Lediglich zwei Serpentinen trennten mich nun vom Gipfel. Diese waren schnell überwunden und so erreichte ich nach gut 2 Stunden die Passhöhe. Mit einer durchschnittlichen Steigung von fast 7 % auf knapp 20 km ein richtig schwerer erster Pass. Durch die Lage im dichten Wald ist die Aussicht natürlich begrenzt. Wer aber neue sportliche Herausforderungen in dieser Gegend sucht und auf einsame Passstrassen steht, der ist hier goldrichtig. Ist man mal auf dem richtigen Weg, kann man sich eigentlich nicht mehr verfahren. Es gibt nur eine echte Weggabelung, an der zwei asphaltierte Straßen weiterführen. Ein Wanderwegschild weist hier aber den richtigen Weg.

Ich machte oben nur eine kurze Pause, schließlich hatte ich heute noch einiges vor. Auf der Abfahrt gabelt sich schon nach einigen Metern der Weg. Geradeaus geht es über Chanso auf die Passstrasse zum Pas de Morgins. Rechts herum landet man direkt in Morgins. Ich wählte die zweite Variante, was evtl. ein Fehler war. Auf einem schmalen verwinkelten Weg geht es mit einem Gefälle von über 15% bergab. Hier war Dauerbremsen angesagt. Dementsprechend froh war ich, als ich Morgins erreichte. Danach waren es nur noch zwei leichte Kilometer bis zur Passhöhe des Pas de Morgins. Es folgte eine schnelle und schöne Abfahrt bis La Solitude, nur der teilweise böige Wind störte ein wenig. Dann begann der Anstieg zum Col du Corbier. Während der erste Kilometer noch ganz angenehm zu fahren war, ging es danach für drei Kilometer heftig zur Sache und mein Schweiß floss mal wieder in Strömen.

Anstieg Corbier.jpg
Die Serpentinengruppe im steilen Abschnitt am Col du Corbier

Die letzten Meter waren dann wieder angenehm zu fahren und so erreichte ich noch einigermaßen frisch den Gipfel. Die folgende Abfahrt nach Saint Jean d’Aulps war zwar schön zu fahren aber leider viel zu kurz. Anschließend folgte der leichte Anstieg nach Morzine. Dort brauchte ich eine Weile, bis ich den richtigen Weg fand. Ich überlegte auch kurz, ob ich hier nicht eine kleine Verpflegungspause einlegen sollte, entschied mich aber aufgrund der aufgerufenen Preise dagegen. Es folgte der letzte und härteste Anstieg des Tages, der auch durch die Tour de France bekannte Col de Joux Planes. Bereits kurz nach Morzine ging es richtig zur Sache. Über 2 km sinkt die Steigung nicht unter 10%. Nachdem ich bereits über 2.000 hm in den Beinen hatte, fiel es mir hier schwer einen vernünftigen Tritt zu finden. Und da ich den ganzen Tag noch nicht wirklich viel gegessen hatte, machte sich nun auch mächtig Hunger breit. Als ich daher auf der rechten Seite eine kleine Hütte erblickte, war schnell klar wohin mein Weg führte. Ich bog ab und gönnte mir ein halbes Baguette.

Gott sei Dank wechselten sich in der Folgezeit die steilen Abschnitte mit weniger heftigen Teilstücken ab. Der letzte Kilometer bis zum Col du Ranfolly brachte mich dann noch mal an meine Leistungsgrenze. Leider war während des gesamten Anstieges der Himmel wolkenverhangen, so dass ich auf eine ablenkende Aussicht verzichten musste. Nach dem Col du Ranfolly folgte eine ganz kurze Zwischenabfahrt und 2 lockere Kilometer bis zum Col de Joux Plane.

Passhöhe Col de Joux Plane.jpg
Ein kleiner Bergsee auf der Passhöhe des Col de Joux Plane, leider bei nicht ganz optimalem Wetter

Die Abfahrt war dann leider grottenschlecht. Vor allem im oberen Teil war der Asphalt eine Katastrophe. Da die Abfahrt auch noch sehr steil ist, kam hier keine echte Freude auf. Lediglich im mittleren Teil konnte man es einigermaßen vernünftig laufen lassen. Ab Samoens ließ das Gefälle dann deutlich nach und da ich wieder mal mit talaufwärts ziehenden Winden konfrontiert wurde, durfte ich ordentlich mittreten. Vor Cluses galt es noch einen kurzen Gegenanstieg zu überwinden, ehe ich es locker rollen lassen konnte. Nach 123 km und 3.200 hm erreichte ich um 16:30 Uhr Cluses. Ich suchte mir im erstbesten Hotel ein Zimmer, wobei die Betonung hier eher auf erst als auf bestem lag. Das Hotel de la Gare, war zwar günstig aber ansonsten eher heruntergekommen. Ich bezahlte 55 Euro einschl. Frühstück, was aber eigentlich immer noch zuviel war. Ich duschte, wusch meine Sachen und suchte mir etwas zum Essen. Das war gar nicht so einfach. Die meisten Restaurants hatten geschlossen. Ich fand dann aber doch noch einen Italiener und erhielt eine doppelte Portion Tagliatelle. Dummerweise funktionierte mein Handy nicht und so konnte ich weder Steffi noch Karin erreichen. Die beiden waren zu der Zeit auf einer Transalp von Genf nach Nizza unterwegs und wir wollten uns am nächsten Tag in Flumet treffen um ein Stück gemeinsam zu fahren. Ich würde es wohl morgen noch einmal versuchen müssen.

Übersicht


2. Tag (Col de Megeve, Col de Saisies, Cormet de Roselend)


Am nächsten Tag stand ich bereits um 6:30 Uhr auf, nahm ein typisch dürftiges französisches Frühstück ein und saß um kurz nach 8 Uhr schon auf dem Rad. Mein Weg führte mich zunächst auf mäßig befahrener Strasse nach Sallanches. Eine halbe Stunde später durfte ich kurz vor Sallanches den ersten Blick auf den mächtigen Mont Blanc werfen.

Mont Blanc.jpg
Blick bei Sallanches auf den großen weißen Riesen, den Mont Blanc

Dann stand der erste Anstieg des Tages nach Megeve auf dem Programm. Auf den ersten vier Kilometern kam ich gleich reichlich ins Schwitzen. Trotz der frühen Uhrzeit war es schon recht warm und der Anstieg steiler als erwartet. Danach wurde es aber etwas flacher und ich erreichte Megeve ohne allzu viel Körner zu verlieren. Es folgte eine fast flache Abfahrt nach Flumet, bei der ich erst am Ende die Beine hochnehmen konnte. Da ich immer noch keinen Handy-Empfang hatte, steuerte ich das Tourismus-Büro an und konnte dort endlich Steffi erreichen. Sie waren am Vortag aber später gestartet und daher nicht bis Flumet gekommen, sondern hatten im Anstieg zum Col des Aravis übernachtet. So durfte ich eine kleine Pause einlegen, frühstückte ein zweites Mal und wartete auf die beiden. Eine halbe Stunde später kamen Steffi und Karin dann an und wir machten uns auf zum Col de Saisies. Wir wählten die Alternativroute über Crest Voland und hatten so nach 3 lockeren Kilometern schon eine kleine Zwischenabfahrt. Danach wechselten sich steilere und flachere Abschnitte ab, so richtig steil wurde es aber nie.

Anstieg Saisies.jpg
Bei herrlichem Wetter und angenehmen Temperaturen, Steffi im Anstieg zum Col de Saisies

Wir wählten ein für mich angenehmes Tempo und mein Puls stieg selten über 140. Aber nach dem gestrigen harten Tag, war mir das gerade recht. Ich war den Anstieg bei meiner Transalp Genf-Nizza vor einem Jahr bereits gefahren, damals allerdings im Dauerregen. Ich war daher überrascht, dass er doch einiges an Aussicht zu bieten hatte. Auch auf der Passhöhe war natürlich viel mehr los, als im Jahr zuvor. Wir machten oben eine kleine Pause und stärkten uns. Es folgte eine schnelle und rasante Abfahrt nach Beaufort. Dort begann der Anstieg zum Col du Pre. Während die ersten Kilometer von zwei kurzen Steilstücken abgesehen noch angenehm zu fahren waren, wurde es nach einem Flachstück richtig hart. Auf den nächsten 7 km waren fast 10% im Schnitt zu bewältigen.

Anstieg Col du Pre.jpg
Steile Serpentinen aber dafür eine nette Aussicht. Der Anstieg von Flumet zum Col du Pre

Karin musste hier ganz schön kämpfen und wählte schon bald ihr eigenes Tempo. Aber auch Steffi begann die hohe Steigung allmählich zu verfluchen. Das ganze wurde nicht dadurch besser, dass ich nach jedem Kilometer behauptete, es würde gleich flacher werden. Zu meiner Verteidigung sei gesagt, dass ich bei einem flüchtigen Blick auf das Höhenprofil mal wieder die Steigungen falsch interpretiert hatte und tatsächlich glaubte was ich sagte. Dummerweise stehen am Col du Pre für jeden Kilometer kleine Steine am Wegesrand, welche die Durchschnittssteigung für die nächsten 1000 Meter angeben. Und die Zahlen die darauf standen, wurden von Kilometer zu Kilometer höher, bis sie auf dem letzten Kilometer fast 12% erklommen. Ich hielt in diesem Bereich immer mal wieder an um Fotos zu schießen und pendelte so oft zwischen Karin und Steffi hin und her. Hier war man sehr oft der gleißenden Sonne ausgesetzt, so dass mal wieder ordentlich Schwitzen angesagt war. Steffi glaubte mir mit der Zeit meine Beteuerungen, es würde bald flacher werden verständlicherweise nicht mehr. Daher versuchte ich sie damit aufzumuntern, die Aussicht oben würde die ganze Anstrengung rechtfertigen. Wenigstens in diesem Punkt konnte ich mein Versprechen halten. Nachdem wir alle leicht erschöpft die Passhöhe erreicht hatten, pedalierten wir noch locker einen flachen Kilometer weiter. Dann kam einige Serpentinen unter uns liegend der Lac de Roselend mit dem tollen Bergpanorama im Hintergrund in Sicht.

Lac de Roselend.jpg
Die herrliche Aussicht nach dem Col du Pre auf den Lac de Roselend. Dieses Jahr bei bestem Wetter!

Es war schon ein tolles Gefühl diese Kulisse zu sehen. Vor fast genau einem Jahr bei meiner Transalp Genf – Nizza hatte ich den See erst wenige Meter bevor ich ihn erreicht hatte überhaupt nur schemenhaft erkennen können. So mies war damals das Wetter gewesen. Wir beschlossen die tolle Aussicht noch ein wenig zu genießen und machten in dem Restaurant nach der Passhöhe eine kleine Pause. Dann fuhren wir zum See hinab, über die Staumauer und auf der anderen Seite wieder aufwärts Richtung Cormet de Roselend. Die fünf Kilometer bis zur Passhöhe waren schnell geschafft. Versüßt wurde das Ganze auch hier, durch eine tolle Aussicht.

Lac de Roselend.jpg
Der Blick von der anderen Seite während des Anstieges zum Cormet de Roselend auf den Lac de Roselend

Die folgende Abfahrt hatte dann alles, was man von einer Abfahrt erwarten kann. Anfangs einige Serpentinen, dann schnelle weite Kurven, später eine enge windungsreiche Straße und ein nur im Mittelteil schlechter Straßenbelag. Nach 117 km, knapp 3.000 hm und einer Fahrtzeit von gut 6 Stunden erreichten wir um 17:30 Uhr Bourg Saint Maurice. Dort buchten wir ein Zimmer im Hotel Arolla und aßen später im Le Kosy. Beides war eine gute Wahl.

Übersicht


3. Tag (Col du Petit Saint Bernard, Colle San Carlo)


Am nächsten Tag trafen wir uns um 8:00 Uhr beim Frühstück, welches für französische Verhältnisse reichlich war. Um kurz nach 9 Uhr rollten wir anschließend gemeinsam Richtung Col de l’Iseran. Doch bereits kurz nach Bourg-Saint Maurice trennten sich unsere Wege auch schon wieder. Während Steffi und Karin ihren Weg gen Nizza über den Col de l’Iseran fortsetzten, bog ich nach links ab, um den Petit St. Bernard zu bezwingen. Wahrscheinlich kam der männliche Beschützerinstinkt in diesem Moment in mir durch. Aber es war schon ein komisches Gefühl, die beiden alleine ziehen zu lassen. Ich blickte ihnen noch eine kurze Zeit hinterher, ehe ich mich wieder meiner eigenen Tour widmete. Der Petit St. Bernard fuhr sich vom ersten bis zum letzten Meter hervorragend. Die ersten paar Kilometer brachten noch Steigungen um die 8%. Da ich hier aber noch frisch war, steckte ich es problemlos weg. Danach mussten kaum noch Steigungen über 6% bewältigt werden. So konnte man sich den schönen Ausblicken widmen, die mit jedem Höhenmeter zunahmen.

Anstieg Petit Bernard.jpg
Blick in Richtung Col de l'Iseran während des serpentinenreichen Anstieges von Bourg Saint Maurice zum Col du Petit Saint Bernard

Die ersten fast 20 km des Passes erschließt man sich über zahllose Serpentinen. Währenddessen wechselt der Ausblick je nach Fahrtrichtung zwischen dem Tal der Isere in Richtung Col de l’Iseran, dem Skigebiet Les Arcs am Gegenhang und Bourg-Saint-Maurice im Tal. Nach einiger Zeit überholte mich ein Franzose der von Les Arcs kam und wie ich über den Petit Saint Bernard zum Colle San Carlo wollte. Dieselbe Strecke sollte es wieder zurück gehen und somit hatte er fast 4.000 hm geplant. Vielleicht war das der Grund, warum ich, obwohl er schlank und durchtrainiert aussah, trotz Gepäck locker sein Tempo mitgehen konnte. Wir unterhielten uns eine Weile, ehe ich ihn nach einem Fotostop ziehen lassen musste. Nachdem man das kleine Örtchen La Rosiere erreicht hat, enden die Serpentinen und die Passstrasse wendet sich nach Norden. Schon bald darauf konnte man die Passhöhe zumindest erahnen. Die Strasse schlängelte sich auf den letzten Kilometern am Hang entlang. So konnte ich erstmals einen längeren Streckenabschnitt einsehen und stellte fest, dass doch einige Radler unterwegs waren. Im Gegensatz dazu, begegnete ich kaum Autos.

Anstieg Petit Bernard.jpg
Kurz vor der Passhöhe, der Blick zurück auf den Anstieg von Bourg Saint Maurice zum Col du Petit Saint Bernard

Nach etwas über 2 Stunden erreichte ich die Passhöhe. Ich gönnte mir eine Kleinigkeit zu essen und genoss das tolle Panorama. Dann fuhr ich noch einige Meter weiter bergab zum Lago Verney und machte dort noch mal eine kurze Pause.

Lago Verney.jpg
Kurz nach der Passhöhe des Col du Petit Saint Bernard auf der Abfahrt Richtung La Thulie. Der Lac du Verney

Dann folgte die Abfahrt nach La Thuile. Diese war leider gar nicht nach meinem Geschmack. Der Asphalt hatte vor allem im rechten Bereich tiefe Risse. Zudem waren viele Kurven zu überwinden und somit die Strasse schlecht einsehbar. Das größte Problem war aber, dass die Abfahrt zum Teil durch den Wald verläuft. Der ständige Wechsel von Licht und Schatten ließen mich die Risse im Asphalt kaum erkennen. So war ich dann doch froh, Thuile und den Abzweig zum Colle San Carlo zu erreichen. Die ersten zwei Kilometer bis Thovex waren noch ganz locker zu absolvieren, dann wurde es allmählich steiler. Nach gut drei Kilometern erreichte ich eine erste Serpentinengruppe und nun ging es richtig zur Sache. Mit über 10% im Schnitt auf den letzten 4 Kilometern raubte mir der Pass nun die letzten Körner. Da es hier zu allem Unglück kaum schattenspendende Stellen gab, kam ich mächtig ins Schwitzen.

Anstieg Colle San Carlo.jpg
Blick während des steilen Anstieges zum Colle San Carlo auf Thovex

Der Colle San Carlo sollte eigentlich nur ein kleines Zubrot zum Petit Saint Bernard sein. Aber es zeigte sich wieder einmal, dass der zweite oder dritte Pass des Tages sich ganz anders anfühlen können als der erste, an den man noch mit frischen Beinen unterwegs ist. Ich musste jetzt mächtig kämpfen. „Du gibst es mir ganz schön“ flüsterte ich dem Pass entgegen. Nach der ersten Serpentinengruppe wurde es für kurze Zeit flacher und ich konnte kurz durchschnaufen. Doch direkt danach wurde es wieder steiler. Noch einmal mussten einige Serpentinen überwunden werden, ehe ich endlich ziemlich geschafft die Passhöhe erreichte. Trotz der Anstrengungen hatte der Pass einiges zu bieten. Zu allererst natürlich kaum Verkehr, zum anderen aber auch immer wieder nette Ausblicke und eine abwechslungsreiche Strecke. Ich setzte mich oben erstmal in den Wald und machte kurz Pause, ehe es auf die Abfahrt nach Morgex ging. Die Abfahrt war zu Beginn ähnlich schlecht, wie die des Petit Bernard wurde im Verlauf aber besser. Später durfte ich sogar auf komplett neuem Asphalt gen Tal rollen. Ansonsten war die Abfahrt mit vielen Kurven und Serpentinen technisch sehr anspruchsvoll und auch hier hatte ich mit Licht und Schatten zu kämpfen.

Abfahrt Colle San Carlo.jpg
Licht und Schatten während der Abfahrt vom Colle San Carlo. Das galt auch für die Auffahrt, steil aber dafür mit schönen Ausblicken

In Morgex angekommen, führte mich mein Weg auf leicht abfallender Straße nach Aosta. Die Strecke war eigentlich ganz nett. Die Dora Baltea hat hier eine tiefe Schlucht geschaffen und der Fluss begleitete mich auf dem gesamten Weg. Rechts und Links der Strasse waren immer wieder kleine Dörfer und alte Burgen und Ruinen zu bewundern. Trotzdem machte es mir hier nicht richtig Spaß. Ich war müde und wollte endlich in Aosta ankommen.

Aosta Tal.jpg
Blick auf eines der vielen kleinen Dörfer und die Dora Baltea während der Fahrt durch das Aosta-Tal zwischen Morgex und Aosta

Dort hatte ich erstmal Mühe das Tourismus-Büro zu finden, da es inmitten des teilweise abgesperrten Bereichs der Restaurierungsarbeiten an der Porta Praetoria liegt. Ich buchte mich im Hotel Turin in der Nähe des Bahnhofs ein und war später absolut zufrieden mit meiner Wahl. Dann schlenderte ich ein wenig durch Aosta, suchte mir etwas zu essen und schaute mir kurz den Bahnhof an. Aosta ist ein nettes kleines Städtchen. Viele alte Bauwerke der Römerzeit, wie Teile der Stadtmauer sind noch erhalten und ins Stadtbild integriert. Das ganze garniert durch die Blicke auf die schneebedeckten Gipfel der Grajischen und Walliser Alpen. Später nutzte ich den Hotel-PC mit Internetanschluss um mir noch mal eine Wegbeschreibung zu meinem Parkplatz in Saint Maurice zu erstellen. Da ich bei meiner Ankunft nicht dort geparkt hatte, wo ich ursprünglich gedacht hatte, wollte ich bei meiner Ankunft nicht noch unnötig suchen müssen. Außerdem suchte ich für Steffi und Karin noch eine Abkürzung nach Alpe d’Huez. Nachdem beide mit mir zusammen am Col du Pre gelitten hatten, machte ich mir ein wenig Sorgen, dass die über 3.000 hm am nächsten Tag mit Alpe d’Huez als Schlussanstieg ein bisschen zuviel sein könnten. Abends gab es dann noch dürftige Tortellini und eine unfreundliche Kellnerin beim nahegelegenen Italiener. Leider hatte mein Hotelzimmer keine Klimaanlage und so war es mir in der Nacht deutlich zu warm.

Übersicht


4. Tag (Colle del Nivolet)


Die Nacht endete aber ohnehin recht früh. Bereits um 6 Uhr stand ich auf und war eine halbe Stunde später beim Frühstück. Ich hatte zwar auch heute wieder einen Rucksack dabei, aber außer meinen Sneakers für den Abstieg vom Colle del Nivolet und ein Langarmtrikot für alle Fälle war nicht viel darin. Mein Nacken konnte sich also heute mal ein wenig erholen. Um 7:30 Uhr sollte bereits mein Zug nach Ivrea abfahren. Ich hatte im Vorfeld über trenteitalia.com zwei Fahrkarten (eine für mich und eine für mein Bike) für knapp 10 Euro gebucht. Am Bahnhof hätte ich dann fast den Zug verpasst, weil er von einem anderen Gleis abfuhr. Zwar gab es dazu eine Durchsage, wohl auch auf Englisch. Diese verstand ich aber nicht, weil gerade ein anderer Zug einfuhr. Ein freundlicher Italiener erkannte dies aber und wies mich darauf hin. Knapp eine Stunde später erreichte ich Ivrea und meine Tour auf dem Rad begann. Ich wollte auf direktem Wege Richtung Cuorgne fahren und keine Zeit durch unnötige Umwege verlieren. Genau das passierte mir dadurch aber. Ich war noch nicht lange auf der SS565 unterwegs da tauchten die ersten beiden Tunnels auf. Sie waren eigentlich für Radfahrer gesperrt. Da sie aber nur 100 Meter lang waren und keine Umgehung in Sicht war, fuhr ich schnell hindurch. Bei Pramonica kam dann ein über 400 m langer Tunnel. Das traute ich mich dann doch nicht, da ich morgens festgestellt hatte, dass ich in den letzten Tagen irgendwo mein Rücklicht verloren haben musste. Ich fuhr ein Stück zurück und versuchte eine alternative Strasse parallel dazu zu finden. Auf mein spärlich vorhandenes Kartenmaterial konnte ich mich hier nicht verlassen. Ich musste jetzt meinem Instinkt vertrauen. Das ging nicht wirklich gut. Nach kurzer Zeit merkte ich, dass die Richtung nicht mehr stimmte. Glücklicherweise kam mir dann ein italienischer Radfahrer entgegen und nahm mich ein Stück mit. Unser Weg führte uns dann auf die SP222 nach Castellamonte. Der Verkehr hatte nach Verlassen der SS565 schlagartig nachgelassen und ich kann jedem nur empfehlen, gleich die SP122/SP222 und nur ein kurzes Stück die SS565 zu nutzen. Ohne weitere Umwege erreichte ich dann Cuorgne, Pont-Cavanese und schließlich Locana. Dort brauchte ich erstmal was zu essen und wurde auf dem lokalen Markt fündig. Gleichzeitig konnte ich hier meine Wasserflaschen füllen. Die Fahrt bis hierher hatte keine Höhepunkte zu bieten. Zu sehen war nicht wirklich viel, es galt einfach nur einigermaßen zügig voranzukommen. Mein erstes Etappenziel hatte ich damit aber erreicht. Hier begann das Profil des Passes bei salite.ch, 37 km bergauf lagen nun also noch vor mir. Bis hierher hatte ich seit Ivrea etwa 40 km und lediglich 400 hm überwunden. So langsam nahm die Steigung aber zu. Bis kurz vor Noasca stieg sie aber selten über 6%. Ein erstes kurzes Steilstück gab dann einen Vorgeschmack auf das was noch kommen sollte.

Anstieg Colle del Nivolet.jpg
Die ersten steilen Meter und gleich mächtig am Schwitzen. Der Autor bei der Arbeit während des Anstieges zum Colle del Nivolet

Direkt nach Noasca ging es dann richtig los. Einige Serpentinen mussten mit zweistelligen Prozentwerten überwunden werden. Erstmals trieb ich am heutigen Tag den Puls in die Höhe. Dann erreichte ich endlich den 3 km langen Tunnel. Natürlich wählte ich die Umgehung die direkt davor nach links abzweigt und war gespannt, was mich dort erwarten würde. Und es war Einiges. Die ersten 200 Meter waren noch fast flach und auf schlechtem Asphalt zu bewältigen. Danach führte die Strasse unter zwei riesigen Felsen hindurch. Hier war auf knapp 50 Meter nur noch Schotter angesagt und ich musste erstmals an diesem Tag mein Rad schieben. Danach war wieder Fahren möglich und da es noch nicht richtig steil wurde, kam ich gut voran.

Anstieg Colle del Nivolet2.jpg
Die markante Felsformation während der Tunnelumfahrung auf dem Weg zum Colle del Nivolet

Nach ca. 1 km wurde es dann deutlich steiler und meine Geschwindigkeit sank teilweise auf unter 10 km/h. Kurze Zeit später erreichte ich vier Serpentinen, jetzt wurde es noch ein Stück härter, Steigungen von deutlich über 10% waren zu bewältigen. Nach der letzten Serpentine stand ich plötzlich vor der Seitenwand des Tunnels, in der ein großes Tor eingelassen war. War ich etwa falsch gefahren? Ich dachte eigentlich, den kompletten Tunnel umfahren zu können. Da ich keine alternative Strasse weit und breit sah, fuhr ich im Tunnel weiter. Knapp 100 Meter später konnte ich wieder links aus dem Tunnel abbiegen und befand mich wieder auf der alten Strasse. Und jetzt ging es richtig zur Sache. Auf dem nächsten Kilometer waren über 13% im Schnitt zu bewältigen. Ich kam bereits hier an meine Grenzen. Kurz vor Ende der Umfahrung wurde es dann endlich wieder flacher und ich war froh es erstmal geschafft zu haben. Ein Wort noch zur Umfahrung an sich. Die Strecke ist wie bereits erwähnt bis auf 50 Meter durchgängig mit dem Rennrad befahrbar. Der Asphalt ist eigentlich gar nicht mal schlecht, wenn auch zwischendrin mit einigen üblen Hügeln die man eben umfahren muss. Die 100 Meter im Tunnel sind auch kein Problem. Ich hörte ein Auto knapp eine Minute bevor es an mir vorbeifuhr. Da ich ja kein Rücklicht hatte, wartete ich einfach bis ich von hinten nichts mehr hörte und fuhr dann los. Ich kann jedem nur raten, diese Route zu wählen. Der Weg durch den Tunnel erspart ja keine Höhenmeter, dürfte also auch eine hohe Durchschnittssteigung aufweisen, wenn auch sicherlich nicht mit solch hohen Spitzen. Und wenn schon leiden, dann lieber an der frischen Luft, auf einem verwegenen Weg und dem Fluss Orco nebendran. Die Strasse hat zu Beginn einige Abzweigungen, man muss sich aber einfach immer nur geradeaus halten. Nach der Tunnelumfahrung durfte ich dann erstmal ein wenig verschnaufen ehe es zum Lago di Ceresole wieder etwas steiler wurde.

Lago di Ceresole.jpg
Während des Anstieges zum Colle del Nivolet. Blick auf den Lago di Ceresole in Richtung Gipfel.

Ich hätte hier gerne eine längere Pause eingelegt, wollte aber möglichst früh auf der Passhöhe ankommen. Schließlich wusste ich nicht, was mich auf der „Abfahrt“ noch alles erwartete. Also verweilte ich nur kurz am See, ehe ich meine Fahrt fortsetzte. Die nächsten fünf Kilometer war noch einmal entspannen angesagt. Nach einer kurzen Abfahrt folgten einige Kilometer mit nur mäßiger Steigung. Hier säumten noch teilweise Bäume rechts und links die Strasse. Kurze Zeit später wurde die Landschaft rauer und mein Blick fiel in weiter Ferne auf einen Steilhang und die Staumauer des Lago Serru. Jetzt holte der Pass zum finalen Schlag aus. In diesem Fall hieß final allerdings noch über 10 steile Kilometer. Ich versuchte abzuschätzen, wie lange ich wohl brauchen würde, bis ich den See erreichen würde. Manchmal täuscht man sich ja und ist später überrascht, wie schnell man doch voran kam. Jedenfalls sah es verdammt weit aus. Ich verspürte mittlerweile auch schon eine leichte Müdigkeit. Die vielen extrem steilen Abschnitte bis hierher hatten ihre Spuren hinterlassen. Anfangs zog sich die Strasse ziemlich geradlinig am Hang entlang und das Bild vor mir änderte sich nur langsam. Dann erreichte ich eine erste Serpentinengruppe. Ich kämpfte mich jetzt mehr schlecht als recht Kurve um Kurve nach oben. „Haha, wieder ne Serpentine geschafft!“ lachte ich sarkastisch in mich hinein.

Anstieg Colle del Nivolet3.jpg
Zahllose Serpentinen am Colle del Nivolet. Der Blick zurück ins Tal kurz vor dem Lago Serru

Ein großer Hügel versperrte mir nun die Sicht auf die Staumauer. Ich konnte von unter sehen, dass die Strasse um den Hügel herumführte und hoffte inständig, dass ich danach den See erreicht hätte. Doch ich wurde leider enttäuscht. Noch einmal musste ich einige steile Abschnitte bewältigen, ehe ich endlich den Stausee erreichte. Ich machte wieder nur kurz Pause und setzte dann meine Fahrt fort. Zunächst durften wieder einige steile Serpentinen überwunden werden, dann folgte die Abfahrt zum Lago Agnel. Schlagartig änderte sich jetzt mein Gemütszustand. Bis hierher war ich ständig getrieben, zügig voranzukommen, ja rechtzeitig oben ankommen, dass ich genug Zeit für den Abstieg hatte. Der Weg bis hierher war schön und verkehrsarm, aber irgendwie war mir nicht so ganz klar, warum ich diese Anstrengung auf mich nahm. Aber als ich die paar Meter zum Lago Agnel hinunter fuhr, wusste ich es wieder. Ich blickte auf den See und auf den letzten Steilhang zum Pass im Hintergrund. Ja, wegen diesem Panorama war ich hier. Der Colle del Nivolet war plötzlich nicht mehr nur ein weit entfernter Traum, er war real.

Anstieg Colle del Nivolet4.jpg
Währnd der kuzren Abfahrt vom Lago Serru. Blick auf den Lago Agnel und den letzten Steilhang vor der Passhöhe des Colle del Nivolet.

Gemächlich fuhr ich am Ufer des Sees entlang, ehe die nächsten Serpentinen auf mich warteten. Mit knapp 8% Steigung verlangten sie mir zwar noch einmal einiges ab, aber darauf kam es jetzt nicht mehr an. Immer wieder schweifte mein Blick zurück zum Lago Agnel und bald schon tauchte im Hintergrund auch der Lago Serru wieder auf. Ich weiß nicht wie oft ich in den letzten Jahren genau dieses Panorama auf Bildern im Internet gesehen hatte. Seit ich vor Jahren das erste Mal im Pässelexikon von quäldich über diesen Pass gelesen hatte, war ich fasziniert von ihm. Es waren ja nicht nur die tollen Bilder die ich davon gesehen hatte. Gerade die Tatsache, dass die Strasse eben nicht vollendet wurde, machte diesen Pass in meinen Augen zu etwas besonderem. Hier bekam man nichts geschenkt. Wer den Colle del Nivolet überwinden will, hat nicht nur 2.000 hm am Stück vor sich, sondern auch eine Wanderung mit Tragepassagen. Aber daran dachte ich nun nicht. Jetzt stand ich einfach nur in einer der zahlreichen Kehren da mit meinem Rad und hatte das Panorama nicht nur auf einem 19-Zoll-Schirm vor mir, sondern real vor Augen. Es war überwältigend. Auf dem Weg nach oben passierte ich einen weiteren kleinen See. Ich hielt nun fast alle 100 Meter an und machte Bilder. In der letzten Kehre vor dem Pass blickte ich ein letztes Mal wehmütig zurück.

Anstieg Colle del Nivolet5.jpg
Kurz vor der Passhöhe am Colle del Nivolet. Blick auf die Serpentinen am Schlusshang und die beiden Stauseen Lago Serru und Lago Agnel

Jetzt begann das Abenteuer Teil 2. Kaum hatte ich die Passhöhe überwunden, blickte ich erneut auf zwei kleine Seen. Ich fuhr zu ihnen hinunter und machte am Rifugio Albergo Savoia erstmal eine kleine Pause und füllte meine Wasserflaschen. Dann ging es weiter. Ich fuhr die asphaltierte Strasse noch bis zur Schranke weiter. Danach war eine Weiterfahrt aus meiner Sicht nicht mehr möglich, also wechselte ich meine Schuhe und trug mein Rad ein paar Meter bergab zum parallel verlaufenden Wanderweg. Das Gelände ist hier offen und weit einsehbar, so dass ein „Verlaufen“ quasi unmöglich ist. Die ersten paar Kilometer ging es auf einem Trampelpfad zwischen grünen Wiesen mit kaum wahrnehmbarem Gefälle die Hochebene entlang. Hier hätte man stellenweise wohl auch mit etwas Vorsicht fahren können. Ich sah darin aber keinen Sinn. Ich kam mit dem Rad schiebend auf 6 km/h und war sogar schneller unterwegs, wie eine Gruppe Wanderer vor mir, denen ich trotz zahlreicher Fotopausen immer näher kam. Fahrend wäre ich sicher nur unwesentlich schneller gewesen, hätte aber viel mehr aufpassen müssen.

Abfahrt Colle del Nivolet.jpg
Der Wanderweg vom Colle del Nivolet ins Tal. Zu Beginn ein Trampelpfad mit kaum wahrnehmbarem Gefälle

Kurz nachdem eine kleine Brücke einen Bach überquerte, durfte ich zum ersten Mal mein Rad tragen. Auf steinigem Weg musste ein kleiner Hügel überwunden werden. Danach war wieder Schieben angesagt. Das Ende der Hochebene war nun schon langsam zu erahnen, da kam mir tatsächlich ein Rennradfahrer von unten entgegen. „Ah un autre“ sagte er nur und lächelte. Ihm war die Anstrengung durchaus anzusehen, zumal er nicht mal anderes Schuhwerk dabei hatte. Wir schätzen beide kurz ab, wie weit es der andere wohl noch haben würde und setzen unseren Marsch fort. Dabei wurde ich nun links von einem kleinen Bach begleitet der sich eng windend seinen Weg ins Tal suchte. Ich war bis hierher ca. eine Stunde unterwegs. Nun änderten sich langsam die Bedingungen. Über größere aber meist ebene Felsformationen musste ich erstmals mein Rad längere Stücke tragen. Es folgte die Überwindung einiger Geländestufen und ich verlor auch erstmals merklich Höhenmeter. Dazwischen gab es aber immer wieder Abschnitte, wo der Weg zwischen den Wiesen hindurch führte und das Rad geschoben werden konnte.

Abfahrt Colle del Nivolet2.jpg
Der Weg wird härter. Mehrere kleine Geländestufen sind tragend zu überwinden. Zwischendrin darf man sich ausruhen während das Rad geschoben werden kann

Nach knapp 1,5 Stunden erreichte ich schließlich das Croix Roley. Ich machte hier eine kleine Pause, da ich auf den letzten Metern müde geworden war. Das machte sich vor allem durch Unkonzentration bemerkbar. Dadurch war ich einige Male unsauber aufgetreten und umgeknickt bzw. weggerutscht. Das sollte mir hier nicht zu oft passieren. Von hier aus hatte man bereits einen schönen Blick auf Pont im Tal. Und man sah sofort, es war noch ein weiter Weg. Ich hatte bis hierher zwar schon 7 der ca. 9 km Wanderung hinter mir, aber erst etwa 1/3 der ca. 600 hm überwunden. Dementsprechend wurde es nun deutlich steiler. Ich legte mir mein Langarmtrikot um den Hals und schulterte mein Rad. So ging es fast eine viertel Stunde lang bergab. Vom Gewicht her, war das Tragen des Rades eigentlich kein Problem. Lediglich die Tatsache, dass mein Vorderrad mir öfter mal die Sicht auf meine Füße verdeckte, störte ein wenig. So sah ich nicht immer genau, wo ich eigentlich hintrat. Ich traf hier auf einige Mountainbiker, einige mit dem Rad auf der Schulter auf dem Weg nach oben, einige bergab unterwegs. Ich war erstaunt, dass Sie hier teilweise noch fahren konnten. Des Öfteren mussten aber auch sie vom Rad.

Abfahrt Colle del Nivolet3.jpg
Ab dem Croix Roley wird es härter. Über etliche Serpentinen geht es über einen aus Steinplatten angelegten Weg nur noch tragend hinab

Über viele Serpentinen ging es auf einem schön angelegten aus großen Steinplatten bestehenden Weg steil nach unten. Nach knapp 15 Minuten hatte ich keine Lust mehr so mein Rad zu tragen. Der Weg bestand nun nicht mehr aus Steinplatten sondern war eher wieder ein Trampelpfad. Zwar sehr steil, aber von oben sah es durchaus so aus, als ob er mit dem Rad schiebend zu bewältigen war, was sich leider als Täuschung herausstellte. Also nahm ich mein Rad wieder unter den Arm und trug es so bestimmt noch einmal 10 Minuten. Erst kurz nach dem Eintritt in den Wald, konnte ich zumindest ab und zu wieder schieben.

Abfahrt Colle del Nivolet4.jpg
Während der Wanderung vom Colle del Nivolet ins Tal. Mit Eintritt in den Wald lässt sich der Wanderweg zumindest teilweise wieder schiebend bewältigen

Es dauerte aber noch eine Weile, bis schemenhaft durch den Wald erkennbar endlich der Parkplatz auftauchte. Ich war wirklich froh dieses Bild zu sehen. Wieder war ich auf den letzten Metern extrem unkonzentriert und dabei einmal böse weggerutscht. Dabei musste mein Kettenblatt einen heftigen Disput mit einem großen Stein überstehen. Ich machte am Parkplatz eine kurze Pause und wechselte mein Schuhwerk wieder. Ich hatte für den gesamten Abstieg einschl. kurzer Pausen 2:10 h gebraucht. Dazu sollte man aber sagen, dass ich seit meiner Kindheit schon im Gebirge wandere und dementsprechend trittsicher bin. Jemand der sonst nie wandert, sollte vielleicht mehr Zeit veranschlagen. Der Abstieg stellte auch mit Rad eigentlich kein Problem dar. Man sollte aber rechtzeitig Pausen einlegen, wenn man müde wird. Ein falscher Tritt kann gerade bei schelchtem Schuhwerk schnell zum Umknicken führen.

Abfahrt Colle del Nivolet5.jpg
Endlich am Ziel. Die Häuseransammlung Pont. Ab hier gab es für mein Rennrad endlich wieder Asphalt unter den Reifen

Für mich folgte nun die Abfahrt ins Aosta-Tal und diese wusste durchaus zu gefallen. Der Asphalt war akzeptabel, die Strasse hatte wenige enge Kurven und vor allem war sie steil genug um fast nie mittreten zu müssen. Da hier natürlich kaum Verkehr war, konnte man auch ein wenig mehr riskieren und die eine oder andere Kurve anschneiden. Gut 25 km lang konnte ich mich so ausruhen ehe es für die letzten knapp 15 Kilometer mit teils heftigem Gegenwind nach Aosta ging. Ziemlich müde kam ich um 17:20 Uhr nach 130 km und 2650 hm wieder am Hotel an. Ich kann eigentlich jedem nur raten, diese Runde nicht komplett zu fahren, wie bei quäldich beschrieben. Wer in Aosta startet, hat schon 120 km in den Beinen, ehe es richtig los geht. Startet man wie ich in Ivrea kommt man zwar einigermaßen vernünftig bis zur Passhöhe und auch der Fußmarsch nach Pont ist noch gut zu bewältigen. Hätte ich aber die 65 km von Aosta bis Ivrea bei gleichem Gegenwind auch noch absolvieren müssen, wäre ich unterwegs gestorben. Tiefen Respekt also für jeden, der die Runde komplett mit dem Rad bewältigt, ohne auf die Bahn zurückzugreifen. Abends war dann natürlich nicht mehr viel los mit mir. Ich spulte mein übliches Programm ab und fiel schon früh und ziemlich müde ins Bett.

Übersicht


5. Tag (Col du Grand Saint Bernard)


Am nächsten Tag ließ ich es morgens ruhig angehen und genoss das reichliche Frühstücksbuffet. So war es auch schon 9:30 Uhr ehe ich auf dem Rad saß. Zum Abschluss meines Urlaubes stand heute nur noch ein Pass auf dem Programm. Wobei ich zwei bis drei Stunden später nicht mehr von nur gesprochen hätte. Am Col du Grand Saint Bernard kann man sich an über 1.700 hm Höhenunterschied messen. Da ich außerdem nicht die Standard-Route wählte sondern über kleine Straßen nach Etroubles fuhr, kamen noch mal einige dazu. Zunächst folgte ich der Standardroute Richtung Grand Saint Bernard. Nach knapp 4 km verließ ich die SS27 und bog nach rechts Richtung di Bionaz ab.

Anstieg Col du Grand Saint Bernard.jpg
Kurz nach Aosta während des Anstieges zum Col du Grand Saint Bernard. Blick Richtung Walliser Alpen

Nach etwa 3 km führte mich mein Weg dann nach links in Richtung Doues. Erstmals an diesem Tag kam ich ins Schwitzen. Trotzdem war die Steigung auch hier noch angenehm zu fahren und erreichte selten Werte über 8%. Der Strasse folgte ich bis es in einer Rechtskurve geradeaus nach Allein ging. Es folgte eine kurze Zwischenabfahrt ehe es für drei Kilometer noch einmal etwas steiler wurde. Vor Allein durfte ich noch einmal eine kleine Serpentinengruppe bewältigen. Dann war das meiste für den ersten Teil des Anstieges geschafft. Ab Allein folgte ich der Beschilderung nach Etroubles. Die nächsten vier Kilometer waren fast flach und ich konnte erstmals einen ausführlichen Blick auf die normale Route zum Grand Bernard werfen, welche sich auf der anderen Seite des Tals nach oben zog. Soweit ich von hier aus beurteilen konnte, war dort auch nicht viel Verkehr. Trotzdem bereute ich meine Entscheidung nicht. Denn hier begegnete mir nur ganz selten mal ein Auto. Auf den letzten Metern verlor ich wieder etwas an Höhe, ehe ich kurz nach Etroubles wieder auf die SS27 traf.

Anstieg Col du Grand Saint Bernard2.jpg
Blick auf Etroubles und die Hauptroute zum Col du Grand Saint Bernard

Die Steigung nahm nun deutlich zu. Doch nicht nur die nun knapp 7% Steigung sondern auch der plötzlich wieder vorhandene Verkehr und aufkommender Hunger machten mir zu schaffen. Auch mein Wasservorrat neigte sich langsam dem Ende entgegen. Ich trat nun ordentlich in die Pedale und wollte den Abschnitt bis zum Abzweig der Tunnelstrecke möglichst schnell hinter mich bringen. Dumm nur, dass ich dachte es wären nur wenige Meter. In Wahrheit musste ich fast weitere vier Kilometer kurbeln, ehe ich endlich nach rechts abbiegen durfte. Der Verkehr ließ nun schlagartig nach und ich war erstmal beruhigt. Jetzt noch Wasserflaschen füllen und ich wäre glücklich. Ein paar Serpentinen und eine lange Gerade später erreichte ich die kleine Häuseransammlung Saint Rhemy. Dort fand ich einen Brunnen und machte erstmal eine kleine Pause. Ab hier nahm dann ein kleines Drama seinen Lauf. Ich hatte zwar beim Start zum Pass auf den Tacho geschaut und hätte daher wissen müssen, wie weit es bis zur Passhöhe ist. Aber als ich einen kurzen Blick auf das Höhenprofil warf, deutete ich nicht nur die Steigung für die folgenden Kilometer falsch sondern konnte auch die Endhöhe des Passes nicht richtig lesen. Als mein Blick dann 20 min später auf einen Steilhang fiel, war ich mir sicher, die Passhöhe vor mir zu haben.

Anstieg Col du Grand Saint Bernard3.jpg
Blick auf den ersten Steilhang und die vermutete Passhöhe am Col du Grand Saint Bernard. In Wahrheit folgten danach weitere Serpentinen

Ein Blick auf meinen Höhenmesser bestätigte mich darin. Dumm nur, dass der Grand Bernard über 2.400 Meter hoch ist und nicht wie ich dachte gelesen zu haben, 2.100 m. Die Steigung war seit meiner kurzen Pause fast nie über 7% geklettert. Trotzdem spürte ich langsam, dass ich müde wurde. Daher freute ich mich schon, bald oben anzukommen. Ab der ersten Serpentine zog die Steigung dann aber deutlich an. Immerhin wurde ich mit schönen Blicken auf die umliegenden Berge belohnt. Auch ein Teil der Tunnelstrecke war von hier oben zu erkennen. Als ich auch die zweite Serpentine bezwungen hatte und das Ende der folgenden langen Gerade erreichte, war ich dann schockiert. Mein Blick viel auf eine Strasse vor mir, die noch einmal deutlich Höhenmeter machte. Kurze Zeit später war dann klar. Die vermeintliche Passhöhe mit dem großen Hospiz war nur ein Restaurant. Ich hielt noch mal kurz an und nahm mein letztes Gel zu mir. Das musste nun bis zum Gipfel reichen. Die Steigung schwankte nun meist zwischen 7 und 8%. Nicht viel eigentlich, aber mir reichte es. Langsam kämpfte ich mich Meter für Meter nach oben. Irgendwie war ich überrascht, dass obwohl ich eigentlich schon ziemlich fertig war, meine Beine immer noch eine Kurbelumdrehung nach der anderen ohne zu Murren herunterspulten. Glücklicherweise war die Aussicht hier fantastisch. Die tolle Straßenführung und das Panorama der umliegenden Berge zwangen mich sozusagen zu ständigen Fotopausen.

Anstieg Col du Grand Saint Bernard4.jpg
Blick zurück auf die vermeintliche Passhöhe und die darauffolgenden Serpentinen am Col du Grand Saint Bernard

Nach einer schieren Unendlichkeit erreichte ich dann endlich die Galerie die schon von weit unten zu sehen war. Von hier konnte es nun wirklich nicht mehr weit sein. Und so war es dann auch. Noch einige Kurven und ich blickte auf den beeindruckenden Bergsee und das Hospiz im Hintergrund. Ich hatte mir auf den letzten Metern eigentlich geschworen, die nächstbeste Gelegenheit zur Nahrungsaufnahme zu nutzen. Hätte ich es mal nur getan. Auf italienischer Seite gab es ein Restaurant mit Pizza und Pasta zu günstigen Preisen. Genau das richtige für mich. Dummerweise fand ich nirgends einen Schattenplatz und beschloss daher dann doch zur Schweizer Seite hinüber zu fahren. Dort saß ich dann schließlich auf einer Dachterrasse mit einer unfreundlichen Bedienung und einer Karte die durch hohe Preise und wenig Auswahl gekennzeichnet war. Ok, dann musste hier halt die alte Regel 7 Bier sind auch ein Schnitzel herhalten. Ich gönnte mir zwar nur ein Radler, aber das war eigentlich schon zu viel. Sonne, Anstrengung, kaum Essen und Alkohol vertragen sich nicht wirklich. Leicht beschwipst machte ich mich wieder auf die Socken.

Passhöhe Col du Grand Saint Bernard.jpg
Die beeindruckende Kulisse am Col du Grand Saint Bernard, fotographiert vom Hospiz in Richtung Westen

Dementsprechend vorsichtig fuhr ich dann auch. Trotzdem musste ich jetzt so schnell wie möglich etwas essen. Da es auf der Abfahrt aber einigermaßen gut lief, wartete ich bis ich Martigny erreichte. Dort hielt ich an der ersten Pizzeria an und bestellte eine große Pizza … und bekam als Antwort dass es erst wieder ab 18:00 Uhr Pizza geben würde. So ein Mist, was die Nahrungsaufnahme betraf, hatte ich heute gar kein Glück. Ich war schon wieder am rausgehen, da sagte mir der Kellner, dass er mir Sandwichs anbieten könnte. Das Angebot nahm ich gerne an und gönnte mir gleich zwei davon. So gestärkt machte ich mich auf und bewältigte so auch die letzten 20 km bis Saint Maurice. Diese waren mal wieder geschmückt mit heftigem Gegenwind. Ich war daher froh, nach 93 km und 2.000 hm um 15:50 Uhr endlich wieder den Parkplatz mit meinem Auto zu erreichen. Meine Mont-Blanc-Umrundung war damit abgeschlossen.



Fazit:

Es war eine tolle Tour mit sportlichen Herausforderungen und landschaftlichen Leckerbissen. Die Highlights waren sicher der Colle del Nivolet und der Col du Pre. Aber auch der große Saint Bernard und sein kleiner Bruder wussten zu gefallen. Anders als bei meiner Transalp Genf – Nizza kam ich zwar des Öfteren müde aber niemals völlig fertig am Etappenziel an. Das lag aber vielleicht auch daran, dass diesmal das Wetter ausnahmslos mitspielte und ich ab dem zweiten Tag mit Sonne pur verwöhnt wurde. Die Packliste gibt es übrigens im Downloadbereich. Mittlerweile habe ich 35 der 57 Alpenpässe über 2.000 Meter beradelt. Das Ziel für die nächsten Jahre ist also definiert. Die Liste will vervollständigt werden :-)


Übersicht